textil+mode: Die deutsche Wirtschaft steckt gerade in einer Rezession fest – wie ist die Lage in der deutschen Textil- und Modeindustrie?
Markus Simon: Die Probleme des Standort Deutschlands treffen uns als global vernetzte mittelständische Industriebranche mit voller Wucht. Alle Kennzahlen sind im Minus: Umsatz, Inlandsnachfrage, Export, Auftragslage, Auslastung. Bei der Kostenseite verhält es sich genau andersherum. Da gibt es nur eine Richtung, nämlich nach oben: Energie, Arbeitskosten, Rohstoffpreise, Kosten für Regulierung und Bürokratie, alle Kosten steigen. Wir stecken in der Kostenfalle, weil wir die Preissteigerungen für die Produktion am Standort Deutschland nicht mehr an die Kunden weitergeben können.
textil+mode: Haben Sie eine solche Lage schon einmal erlebt?
Markus Simon: Nein, die Wucht und vor allem die Dauer der wirtschaftlichen Probleme habe ich so noch nicht erlebt. Über die vergangenen fünf Jahre haben unsere rund 1 400 Unternehmen der Branche ein Fünftel ihrer realen Umsätze verloren. Wir bekommen jeden Tag neue Hiobsbotschaften. Traditionsunternehmen, viele davon familiengeführt, schaffen es einfach nicht mehr, Qualitäts- und Spezialtextilien am Standort Deutschland zu produzieren. Hinzu kommt die Absatzkrise unserer Autobauer. Viele unserer Unternehmen sind hier als Zulieferer unmittelbar betroffen.
textil+mode: Die deutsche Wirtschaft insgesamt verzeichnete 2024 ein neues Hoch bei den Insolvenzen, 25 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Wie sind die Zahlen in der Textil- und Modeindustrie?
Markus Simon: Hier liegen wir sogar noch weit über dem Durchschnitt. Bei den Herstellern von Bekleidung verzeichnen wir im vergangenen Jahr 66 Prozent mehr Insolvenzen, im Textilbereich waren es 42 Prozent mehr als im Vorjahresvergleich. Tragische Zahlen hinter denen tragische Geschichten von Traditionsunternehmen stecken. Und das Schlimme ist: Wer einmal weg ist, kommt nicht wieder. Damit nimmt die Deindustrialisierung auch in unserer Branche ihren Lauf. Wir verlieren wichtige Glieder unserer textilen Wertschöpfungskette im Land.
textil+mode: Sehen Sie noch eine Möglichkeit das Ruder herumzureißen?
Markus Simon: Wir sind grundsätzlich immer optimistisch, unsere Unternehmen auf Erfolgskurs zu führen. Jetzt ist es aber 5 nach 12! Deutschland landet in allen Wachstumsvergleichen in Europa und international auf dem letzten Platz. Wir brauchen dringend eine Wirtschaftswende und zwar schnell. Außerdem müssen wir einen verantwortungsbewussten Tarifabschluss hinbekommen. Leicht wird das nicht, wenn ich mir die Forderung der IG Metall ansehe. 6,5 Prozent mehr ist die zweithöchste Forderung seit über 20 Jahren und das angesichts einer solchen wirtschaftlichen Lage.
textil+mode: Welche Botschaft haben Sie an die Gewerkschaftsvertreter?
Markus Simon: Lasst uns die Augen nicht vor der Realität verschließen! Wir wissen sehr genau, dass auch das Leben für unsere Beschäftigten teurer geworden ist. Wenn wir uns allerdings anschauen, dass die Kostensteigerungen in den Unternehmen noch um ein Vielfaches höher sind und gleichzeitig unsere Auftragslage und die Auslastung in den Unternehmen gefährlich zurückgehen, müssen wir mehr denn je auf die wirtschaftliche Gesamtsituation achten.
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